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#3 – Ein anderer Berg, dieselben Stiefel

  • Prop
  • vor 11 Stunden
  • 2 Min. Lesezeit
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Spieglein, Spieglein an der Wand. Ich bin schließlich mein Vater.


Mein Vater ging nie wirklich in Rente. Er legte einen Werkzeugsatz weg und nahm dann einen anderen in die Hand. Als ich ihn einmal fragte, warum er nach seiner „Pensionierung“ weiterarbeitete, lächelte er und erwähnte einen Kollegen, einen Freund der Familie. „Wer sieht älter aus, ich oder er?“, fragte mein Vater mit einem verschmitzten Grinsen. Ich tippte auf seinen Freund. Er lachte. „Ich bin fünf Jahre älter.“ Sein Geheimnis war einfach: Halte den Geist wach, dann kommt der Rest von selbst.


Daran denke ich jetzt, da auch ich mich langsam in dieses neue Kapitel meines Lebens stürze. Die Arbeit, wie ich sie kannte, liegt größtenteils hinter mir. Aber die Gewohnheiten, der Antrieb, die Fähigkeiten. Sie klingen noch immer nach. Frühes Aufstehen. Der Wunsch, sich gegen etwas zu stemmen. Der Wunsch, sich weiterhin nützlich zu fühlen. Die Wahrheit ist: Wenn man das Büro verlässt, verliert man nicht nur den Schreibtisch. Ohne etwas, auf das man sich stützen kann, kann sich der Wechsel anfühlen, als würde man den Ortssinn verlieren. Doch mit Bedacht kann er auch Raum für Neuland schaffen.


Viele Männer verstehen das. Jahrelang ist das Leben angefüllt mit Meetings, Terminen, Menschen, die sich auf einen verlassen, Menschen, die auf einen zählen. Dann eines Tages verstummt das Telefon. Der Kalender ist fast leer. Man vermisst den Stress oder die Politik nicht wirklich. Was bleibt, ist der Drang, im Raum wichtig zu sein, das Gefühl, dass die eigene Anwesenheit immer noch Gewicht hat.


Die Stille nach der Pensionierung ist nicht immer erholsam. Manchen kommt sie zu weit vor. Doch selbst in dieser Stille kann sich etwas Neues anbahnen. Ein Morgen kann sich ewig hinziehen, wenn es nichts gibt, woran man ihn festhalten kann. Und in diesen langen Phasen fragen sich manche von uns, ob das Beste der Geschichte schon erzählt ist. Doch vielleicht ist dieses Grübeln geradezu eine Einladung, ein neues Kapitel zu schreiben.


Vielleicht geht es im Ruhestand gar nicht darum, vom Gipfel des Berges abzusteigen. Vielleicht ist es eine andere Art des Wachstums. Eine Chance, die gleiche Energie, den gleichen Hunger nach Entwicklung in einen neuen Aufstieg mitzunehmen, einen mit seiner eigenen Form und seinen eigenen Belohnungen. Wir haben Jahre damit verbracht, einen Berg namens Karriere zu erklimmen. Jetzt liegt ein neuer vor uns. Er sieht nicht mehr so aus wie früher, aber er verlangt uns immer noch etwas ab.


Darum geht es in „Quiet Man“. Den stillen Ängsten eine Sprache geben, damit sie nicht allein im Dunkeln sitzen. Aussprechen, was zu viele Männer für sich behalten. Dass wir immer noch einen Sinn wollen. Dass wir immer noch etwas zählen wollen.


Ich habe keine klare Antwort. Ich habe keine Karte für diesen neuen Anstieg. Ich bin auch noch dabei, ihn zu finden. Aber vielleicht ist es der erste Schritt, ihn laut auszusprechen. Und vielleicht ist der nächste Schritt: die Schuhe wieder anziehen, wissend, dass der Anstieg weitergeht.


Wenn dieser Artikel Ihnen oder einer Ihnen nahestehenden Person etwas ans Herz gelegt hat, wenden Sie sich bitte an uns. In Australien erreichen Sie Lifeline rund um die Uhr unter 13 11 14.

 
 
 

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